Die Achtung vor dem Kind

Bequeme Kinder und unterdrückter Willen

Die Achtung vor dem Kind ist nach RADTKE (200, S.44) Korczaks zentrales Anliegen. Er kritisiert vor allem, dass die Erwachsenen die Kinder gering schätzen. Außerdem versuchen sie, bequeme Kinder heranzuziehen und deren (Freiheits-) Willen zu unterdrücken (vgl. KORCZAK 1967, S.12 in RADTKE 2000 S.44).

Für Korczak jedoch haben Kinder den selben Wert wie die Erwachsenen, und unterscheiden sich lediglich dadurch von diesen, dass sie weniger Erfahrung haben (KAHN 1992, S.102). Er gesteht den Kindern zahlreiche Rechte zu, die jedoch hier nicht ausführlich aufgelistet werden können.
Wenn Korczak also von der Achtung vor dem Kinde spricht, so meint er damit immer die Respektierung des individuellen Kindes, niemals des Kindes im Allgemeinen. Er wehrt sich daher dagegen, allgemeine Pflichten oder Rechte für alle Kinder aufzustellen und lehnt den Grundsatz von der Gleichheit aller Kinder ab.Der Erzieher muss sich also immer fragen, was genau für dieses Kind das Richtige ist, wo seine individuellen Bedürfnisse liegen; er muss das Kind ernst nehmen so wie es ist.


Wenn Kinder eine eigenständige Persönlichkeit haben, so schließt das jedoch mit ein, dass die Erziehenden nicht wissen können, wie sich ihre Erziehung bei jedem einzelnen Kind auswirkt, es muss damit gerechnet werden, dass das gewünschte Erziehungsergebnis nicht erzielt wird. Korczak nennt die Entwicklung des Kindes in eine andere als die vom Erzieher gewünschte oder eingeschlagene Richtung das `Gesetz der Antithese` (vgl. KORCZAK 1967, S.65 in KAHN 1992, S.104).


Wenn der Erziehende die Auswirkungen seines Tuns nicht bestimmen kann, so resultiert daraus, dass er nicht unbeschränkt in das Leben des Kindes eingreifen darf, und die Kinder ihre Entscheidungen und Handlungen selbstverantwortlich und frei treffen dürfen. Kinder haben ein „Recht auf ihre eigene Entwicklung...deren Richtung er (Korczak) nicht beeinflussen will und kann“ (KAHN 1992, S.105).
Hierin drückt sich Korczaks Achtung für das freie menschliche Denken aus.

Kinder sollen die eigene Auseinandersetzung und ihren eigenen Weg suchen. (KAHN 1992, S.106)
Diese Freiheit ist auch im Judentum wiederzufinden. Beispielsweise stehen im Talmud mehrere Auslegungen gleichwertig nebeneinander (ebenso wie auch bei Korczak mehrere Meinungen nebeneinander stehen). Dies rührt daher, dass es im Bezug auf Glaubensfragen keine verbindliche und wegweisende Instanz gibt, woraus sich wiederum eine relative Freiheit der Interpretation ableitet. Jeder Jude muss also auf seinem eigenen Weg zu Gott finden (vgl. Kahn 1992, S.105 und RADTKE 2000, S.45).


Eine weitere Verwandtschaft  mit dem Judentum ist dessen Achtung vor dem menschlichen Leben. Der Mensch ist im Judentum nicht, wie im Christentum, mit der Erbsünde belastet, und ist somit für sein Tun selbst verantwortlich. Die Beziehungen zwischen Mensch und Gott und den Menschen untereinander werden von Gesetzen geregelt. Die Achtung vor dem Menschen drückt sich nun darin aus, dass diese Gesetze hinfällig werden, wenn das Leben von Menschen gefährdet ist. Korczak tritt jedoch noch radikaler als das Judentum für die Achtung des Kindes ein, da er es mitunter „sogar vor allgemeinen Regelungen und Bestimmungen schützt.“ (KAHN 1992, S.105).


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Kommentar zu diesem Beitrag auf unserem "Bildung ist Zukunft" Blog verfassen und an der Diskussion über Pädagogik und die Vermittlung von Wissen teilnehmen