Die Bedeutung der Gegenwart

Magna Charta Libertatis - Grundrechte für Kinder

In der „Magna Charta Libertatis“ fordert Korczak drei Grundrechte für jedes Kind, diese sind:

"
  1. Das Recht des Kindes auf seinen Tod,
  2. Das Recht des Kindes auf den heutigen Tag
  3. Das Recht des Kindes, so zu sein, wie es ist.
"
(KORCZAK 1967, S.40 ff. in KAHN 1992, S.106)
Vor allem die erste Forderung mag uns zuerst befremdlich erscheinen, jedoch ist sie wiederum Ausdruck von Korczaks Achtung vor dem Kind und außerdem der Bedeutung die er der Gegenwart beimisst. Korczak ist der Meinung, dass die Erwachsenen dem Kind das gegenwärtige Leben vorenthalten um dessen Tod zu verhindern. Weil die Erwachsenen Angst um das – vor allem körperliche – Wohl des Kindes haben, verbieten sie all jene Dinge, die dem Kind gefährlich werden könnten. So kann es nicht die Erfahrungen machen, die es machen müsste, um später ein selbstständiges Leben führen zu können. Insofern ist es also genauso schädlich ein Kind zu sehr zu behüten wie es zu vernachlässigen, da Unfälle nicht verhindert werden können. Korczak ist jedoch trotz allem der Meinung, dass Verbote bei offensichtlicher Gefahr notwendig sind, an denen sich letztendlich auch der Wille des Kindes, seine Kritikfähigkeit, seine Fantasie und Selbstbeherrschung daran weiterentwickeln könnten.


Da der Erziehende die Wirkung seiner Erziehung nicht absehen kann, auch, wenn sie zweifellos eine Wirkung in die Zukunft hinein hat, und somit nicht weiß, was in der Zukunft sein wird, fordert Korczak eine Loslösung von der auf die Zukunft ausgerichtete Erziehung zugunsten einer Gegenwartsorientierung. Er ist der Ansicht, dass der Erzieher nur für den heutigen Tag verantwortlich ist, die Verantwortung für die Zukunft jedoch beim Kind selbst liegt. Dass das Kind laut Korczak seinen Weg durch Erfahrungen selbst suchen muss, und keine vorgefertigten Ansichten übernehmen soll, drückt sich auch im Abschiedsbrief Korczaks an die Kinder des Waisenhauses aus:

„...Wir geben euch nichts. Wir geben Euch keinen Gott, denn ihr müsst ihn selbst...suchen,... Wir geben Euch kein Vaterland, denn ihr müsst es durch eigene Anstrengung ...finden. Wir geben Euch keine Menschenliebe, denn es gibt keine Liebe ohne Vergebung, und vergeben ist mühselig, eine Strapaze, die jeder selber auf sich nehmen muss. Wir geben Euch eins: Sehnsucht nach einem besseren Leben... Vielleicht wird Euch diese Sehnsucht zu Gott, zum Vaterland und zur Liebe führen. ...“ (vgl. KORCZAK 1979, S. 138 in KAHN 1992, S.110).


Auch diese Vorstellung findet sich im Judentum wieder (s. 4.1). Die Ausrichtung des Lebens auf die Gegenwart ist ebenfalls typisch jüdisch. Hierin drückt sich die Vorstellung des Judentums aus, dass die kommende Heilszeit schon in der Gegenwart beginnt. Es wird nicht einfach auf ein besseres Leben im Jenseits gewartet, sondern es wird herbeigeführt und vorweggenommen durch die Erfüllung der Gebote an jedem Tag der Gegenwart. Da der Mensch unmittelbar vor Gott steht, muss er außerdem jeden Tag von Neuem seine Wahl treffen zwischen „Leben und Tod, Segen und Fluch, Gut und Böse“ (KAHN 1992, S.110 f.) (vgl. KAHN 1992, S.106 ff. und RADTKE 2000, S.46 f.)

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